Kurzes Vorwort

In meinem Leben mit Boxern war Kastration bis vor ein paar Jahren nie ein Thema. Ich hatte stets Rüden und war auch schon immer der Meinung, dass „alles dran sein muss an den Kerlen“. Grossartig informiert über die Vor- und Nachteile einer Kastration habe ich mich eigentlich nie, es war eher eine innere Überzeugung, über die ich heute, wo ich mich mit den neuesten wissenschaftlichen Studien zum Thema Kastration beschäftige, sehr froh bin.

Leider musste ich meinen Spencer im Alter von 9 Jahren  aufgrund  massiver Prostata Probleme, die wir über einen Zeitraum von mehereren Monaten zusammen mit unserem Tierarzt nicht in den Griff bekamen, kastrieren lassen. Zum Glück hat er seinen typischen „rüden-rüplig-Charakter“ behalten. Das war meine grösste Sorge.

Der Trend zur Kastration kam,

 wie kann es anders sein, als eine Art Sturmflut aus den USA nach Europa. Um die Tierpopulation unter Kontrolle zu halten, dem vermeintlichen Krebsrisiko vorzubeugen und auf Verhalten Einfluss nehmen zu können, meinte man, mit einer Kastration das ultimative Rezept gefunden zu haben. Aber weit gefehlt!
Zum Glück melden sich heute mehr und mehr Veterinäre, Verhaltensbiologen, Zoologen und Experten zu Wort um endlich auch in der Öffentlichkeit über die Gefahren und zu oft unnötigen Kastrationen von Hunden aufklären.

Allgemeine Gründe für eine Kastration

1. Prophylaxe verschiedener Erkrankungen
2. Verhaltensmedizinische oder allgemeine Verhaltensprobleme
3. Vereinfachte Hundehaltung

Es halten sich hartnäckig einige Mythen über veränderte Verhaltensweisen von Rüden nach der Kastration, welche sich jedoch wissenschaftlich bis heute gar nicht belegen lassen. So herrscht z.B die allgemeine Vorstellung, dass mit einer Kastration das rüpelige, ungehorsame und überschwängliche Verhalten des Rüden gemildert wird, der Hund nicht mehr aggressiv auf andere Rüden reagiert und nicht mehr nervt weil er sich für läufige Hündinnen interessiert. Meiner Meinung nach ist, bis auf die Geschichte mit den läufigen Hündinnen, der Rest nur eine Frage einer guten Sozialisierung und konsequenten Erziehung. Wer meint man schaltet mit der Kastration den Boxer einen Gang, oder besser 2 Gänge, runter, hat grundsätzlich mit dem fröhlichen und kraftvollen Boxer die falsche Rasse an der Leine. Die Kastration wird keine, durch den Besitzer verursachte, Erziehungsfehler ausgleichen.

Während beim Rüden eher die „kann, muss aber nicht“ Meinung herrscht und die Kastration eher aufgrund von „Fehlverhalten“ des Hundes in Betracht gezogen wird, steht bei Hündinnen meistens der gesundheitliche Aspekt im Vordergrund.

Allgemein angenommene Vor- und Nachteile einer Kastration

VORTEILE RÜDEN
-Vermeidung von Hodentumoren
-Vermeidung von Prostatatumoren
-Vermeidung von Perianaltumoren
-Viele Besitzer erhoffen sich durch die Kastration grundsätzlich einen ruhigen, ausgeglichenen Hund, der kein typisches Rüdenverhalten zeigt, wie z.B. markieren, streunen und agressives Verhalten gegenüber Artgenossen.

 

NACHTEILE RÜDEN
– gelegentlich tritt eine Harninkontinez und Harntröpfeln ein, aber eher sehr selten.
– Fettleibigkeit ( kann man durch Anpassung des Kalorienbedarfs in den Griff bekommen)
– weit verbreitete Schilddrüsen-Unterfunktion
– Fellveränderungen (betrifft nur lanhaarige Rassen)

 

VORTEILE HÜNDINNEN
-Keine Läufigkeit mehr (keine Blutung, keine ungewollte Schwangerschaft, entspanntere Spaziergänge weil keine Rüden aufmerksam werden)
-Fast vollständige Verhinderung von Mammatumoren (je nach Zeitpunkt der Kastration)
-Vollständige Vermeidung von Eierstock-Tumoren und der Gebärmutter-Vereiterung
-Stabilisierung der Psyche durch Vermeidung starker hormoneller Schwankungen im Rahmen der Läufigkeit
(allerdings kann bei manchen Hündinnen nach der Kastration ein gewisser Testosteron-Überhang entstehen, was die Hündin insgesamt männlich grimmiger machen kann

 

NACHTEILE HÜNDINNEN
– Boxerhündinnen sind prädistiniert für eine Harninkontinez und Harntröpfeln nach der Kastration!!!!
– Fettleibigkeit ( kann man durch Anpassung des Kalorienbedarfs in den Griff bekommen)
– weit verbreitete Schilddrüsen-Unterfunktion
– Fellveränderungen (betrifft nur lanhaarige Rassen)

Das Thema ist aber noch vielschichtiger. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse rücken die Kastration in ein anderes Licht, als noch vor wenigen Jahren.
Studien des amerikanischen Tiermediziners Benjamin L. Hart der Veterinärmedizinischen Universität von Kalifornien, oder der Tiermedizinerin Christine Zink ergeben niederschmetternde Ergebnisse.

Auch wenn die o.g. Studien an Golden Retrievern bzw. Viszlas durchgeführt wurden, meine ich, sollten wir diese Informationen verinnerlichen und uns als Boxerbesitzer damit auseinander setzen.

Die Studie des amerikanischen Tiermediziners Benjamin L. Hart von der veterinärmedizinischen Universität von Kalifornienbeschreibt die Auswirkungen der Kastration auf Gelenkerkrankungen und Krebs bei Golden Rretrievern ( Neutering Dogs: Effects on Joint Disorders and cancers in Golden Retrievers ).

Hart hat zusammen mit seinem Team anhand eines Datensatzes von 759 Retrivern nachgewiesen, dass eine Frühkastration
1. Nicht vor Krebs schützt
2. Hunde vermehrt zu Gesundheitsproblemen neigen

Zudem konnte er folgende Aussagen treffen:
• Doppelt so viele frühkastrierte Rüden leiden unter einer HD als intakte Rüden
• Hunde haben nach Kastration vermehrt Probleme mit den Kreuzbändern
• Nach einer Kastration wird drei mal häufiger Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert
• Mastzellenkrebs wurde unter den zur Studie erhobenen Datensätzen bei intakten Hündinnen NICHT festgestellt, dafür aber 6 % bei Hündinnen, die nach Vollenden des ersten Lebensjahres kastriert wurden.
• HSA (ein Blutgefäßkrebs) trat bei Hündinnen häufiger auf als bei intakten Hündinnen.

 

Eine weitere und bislang auch umfangreichste Arbeit in Form einer Studie, lieferte die Tiermedizinerin Christine Zink. Diese Studie wurde im Februar 2014 im Journal of the American Veterinary Medical Association veröffentlicht unter dem Titel :
Evaluation of the risk and age of onset of cancer and behavioral disorders in gonadectomized Vizslas ( Einschätzung des Krebsrisikos, Erkrankungsalter und Verhaltensstörungen bei kastrierten Viszlas)

Dieser Studie liegen die entsprechenden Untersuchungen und Auswertungen von 2505 Jagdhunden der ungarischen Rasse Viszla zugrunde.
Die Ergebnisse dieser Studie sind niederschmetternd.
Kastrierte Hunde, gleich ob Rüde oder Hündin, sind durch eine Kastration durch ein erhöhtes Risiko an bestimmten Krebsarten zu erkranken, aufgefallen
Dazu gehören:
• Mastzellentumore
• Hämangiosarkom (Milztumor)
• Lymphsarkom
Auch bestimmte Verhaltensstörungen, vor allem die Angst vor Gewittern, kamen bei kastrierten Tieren deutlich häufiger vor

 

Andere Studien belegen, dass das Risiko für die Entwicklung eines Osteosarkoms (Knochenkrebs) für kastrierte Hunde um das drei- bis vierfache erhöht ist. Und bösartige Prostatatumoren beim Rüden treten bei Kastraten nicht seltener, sondern häufiger auf!
Insgesamt wird die erhöhte Anfälligkeit für Tumorerkrankungen aktuell mit einer durch den Wegfall der Geschlechtshormone zusammenhängenden Beeinträchtigung des Immunsystems in Zusammenhang gebracht. Dafür spricht auch, dass bei kastrierten Hunden offenbar sogar eine höhere Infektanfälligkeit nachzuweisen ist.

Was man über die Frühkastration wissen sollte

Viele Tierärzte raten zu einer Frühkastration, die durchgeführt werden solle, bevor der Vierbeiner das erste Lebensjahr erreicht. Bei Hündinnen wird sogar dazu geraten, noch vor der ersten Läufigkeit zu kastrieren, um Brustkrebs vorzubeugen, die meisten Hündinnen jedoch werden nach der ersten Läufigkeit kastriert.

 

Die Geschlechtshormone Testosteron (Rüden) und Östrogen (Hündinnen) sind wichtige Bestandteile des Knochenstoffwechsels. Diese Hormone fördern das Knochenwachstum während des Heranwachsen.
„Geschlechtshormone wirken sich auf die Entwicklung aus. Wenn diese Hormone entfernt werden, verknöchern die Wachstumsplatten, die für den richtigen Knochenbau sorgen, nicht richtig. Dadurch werden Gelenkserkrankungen gefördert.“ ( Benjamin L. Hart, Veterinärmedizinische Universität von Kalifornien)
Daher ist es sehr wichtig Hunde NIEMALS vor Vollendung des Wachstums zu kastrieren, sonst werden die ersten Weichen für kommende Knochen- bzw. Gelenkerkrankungen gestellt.

Zudem gehört die Testosteron Produktionsstätte zum endokrinen Drüsensystem, umgangssprachlich also zum Hormonsystem. Das Wort „System“ sagt eigentlich schon aus, das alles zusammen spielt und sich gegenseitig beeinflusst. Daher kann es bei Frühkastrationen Störungen in anderen Bereichen des Hormonsystems geben, oft ist es die Schilddrüsen die betroffen sind. Eine Schilddrüsenfunktionsstörung kann also auch aufgrund einer Kastration entstehen und kommt gar nicht so selten vor wie man denkt.

 

Ein sehr wichtiger Punkt aber ist, dass eine Frühkastration ein enormer Einschnitt in der geistige Entwicklung ist. Testosteron sorgt dafür, dass ein kleiner Rüde zum erwachsenen Rüden wird, nicht nur körperlich sondern vor allem geistig. Mit Vollendung des Wachstums ist aus einem kleinen Hund ein erwachsener Hund geworden, der sich durch die Produktion des Hormons auch verhalten kann wie ein erwachsener Hund. In Konfliktsituationen, beim Lernen und beim Interagieren im Rudel. Das ist enorm wichtig für die Psyche des Hundes.
Hunde die zu früh kastriert werden, werden oft von anderen Hunden nicht für voll genommen, schnell werden diese Hunde als „Opfer“ herausgepickt.
Ich kann das bestätigen, denn Spencer hatte einen kastrierten Freund den er nicht für voll nahm. Er tobte zwar mit „Buddy“, war aber ziemlich rücksichtslos und nach kurzem Spiel fing er stets an ihn zu besteigen und fröhlich drauf los zu rammeln.
Diese „Opferrolle“ kann nicht gut für die Psyche sein und hier können tiefe Ängste und extreme Unsicherheiten anderen Hunden gegenüber entstehen.

Fazit

Mit der Kastration wird einerseits das Auftreten bestimmter Tumore verhindert, andererseits aber steigt das Risiko für andere Krebsarten.
Auch verschiedene orthopädische Probleme werden inzwischen mit der Kastration in Verbindung gebracht. Bezüglich Kreuzbandrissen scheint es bereits unumstritten festzustehen, dass diese Verletzung bei kastrierten Tieren deutlich häufiger vorkommt.

Eindeutig nachgewiesen scheint der Zusammenhang zwischen der Kastration und der häufigsten endokrinologischen Störung des älteren Hundes, der Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)

Diesen unglaublich ehrlichen und offenen Artikel habe ich bei meiner Recherche im Internet gefunden und meinen Beitrag über das Thema Kastration darauf aufgebaut.
Dr. Ralph Rückert, Tierarzt in Ulm, greift in seinem blog absolut interessante und aktuelle Themen auf, die jedem Hundebesitzer wertvolle Informationen liefern.

Seinen Artikel „Die Kastration beim Hund – Ein Paradigmenwechsel“ darf ich mit seiner freundlichen Genehmigung auf meiner website veröffentlichen.

Die Kastration beim Hund – Ein Paradigmenwechsel

16.10.2014
Von Dr. Ralph Rückert, Tierarzt

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